Rückbiss beim Hund: reiner Schönheitsfehler oder medizinisches Problem?
Zahnprobleme durch Zahnstein oder abgebrochene Zähne kennt wohl jeder. Aber gibt es auch Kieferfehlstellungen, die bei Hunden eine Zahnspange nötig machen, wie beim Menschen?
Die häufigsten angeborenen Kieferanomalien beim Hund sind fehlende Zähne. Ein Rückbiss ist selten, kommt aber vor.
Er sieht unspektakulär aus, kann aber zu Problemen führen, an die man als Erstes gar nicht denkt.
Über diese Probleme und über alles andere, was mit dem Rückbiss zusammenhängt, kläre ich dich in diesem Artikel auf.
Was ist ein Rückbiss beim Hund?
Bei einem Rückbiss, auch Distalbiss genannt, handelt es sich um eine Kieferfehlstellung.
Dabei ist der Unterkiefer zu kurz. Die Schneidezähne des Unterkiefers greifen in entspannter Haltung nicht in die des Oberkiefers.
Beim Hund ist es nämlich anders als beim Menschen. Unsere unteren Schneidezähne verschwinden bei entspannter Haltung hinter den oberen Schneidezähnen.
Unser Unterkiefer ist demnach etwas kürzer als der Oberkiefer.
Hunde haben hingegen ein Scherengebiss. Das bedeutet, dass ihre Schneidezähne sich normalerweise überlappen und ineinandergreifen.
Ist das nicht der Fall, weil ihr Unterkiefer zu kurz ist, spricht man von einem Rückbiss.
Ein Rückbiss ist ein Genfehler. Über Kieferanomalien bei Hunden gibt es bisher wenig Studien. Sicher wissen wir aber, dass sie gehäuft bei reinrassigen Hunden vorkommen (englische Quelle).
Der Rückbiss ist zusätzlich eher ein Problem langschnäuziger Hunde.
Was ist ein Pseudo-Rückbiss?
Ein Pseudo-Rückbiss entsteht nicht durch einen zu kurzen Unterkiefer, sondern durch eine reine Zahnfehlstellung.
Dabei neigen sich die oberen Schneidezähne nach außen, sodass die Zähne nicht ineinandergreifen können.
Ein Pseudo-Rückbiss ist selten angeboren. Es handelt sich häufiger um eine erworbene Anomalie, beispielsweise durch lange Flaschenfütterung.
Die Zähne werden durch die ständige Nuckelbewegung und den harten Gumminuckel an der Flasche in ihrer natürlichen Wuchsrichtung behindert.
So ähnlich gibt es das auch beim Menschen. Kleinkinder, die lange am Daumen nuckeln oder einen Schnuller brauchen, neigen später zu Fehlstellungen im Kiefer.
Beim Menschen gleichen wir das frühzeitig mit einer Zahnspange aus. Oder wir warten den Zahnwechsel ab und schauen, ob das Problem weiterhin besteht.
Beim Hund geht das alles deutlich schneller, sodass Probleme im Milchzahngebiss häufig ins bleibende Gebiss übernommen werden.
Muss ein Rückbiss beim Hund behandelt werden?
Na ja, so ein kleiner Schönheitsfehler stört doch nicht, oder? Dann hat Bello halt einen Rückbiss. Solange keine anderen Probleme auftreten, muss man da doch nichts machen.
Leider werden höchstwahrscheinlich andere Probleme auftreten. Das Gebiss ist ein komplexes Gebilde. Jede Veränderung kann dazu führen, dass sich das gesamte Gebiss verschiebt.
Ich weiß es von mir selbst, weil mir ein Schneidezahn fehlt. Als der dazugehörige Milchzahn ausfiel, blieb die Lücke sehr lang bestehen.
Als dann endlich ein Zahn kam, handelte es sich um den Eckzahn, der einfach nachgerückt war, um die Lücke zu schließen.
Das hätte natürlich zur Folge gehabt, dass alle Zähne von dieser Seite eine Lücke nach vorne rücken müssen.
Bleibt der Rückbiss unbehandelt, kommen diese Folgen auf deinen Hund zu:
- Fehlstellung anderer Zähne,
- Verletzungen durch Einbiss und daraus folgende
- Infektionen.
#1 Fehlstellung anderer Zähne
Normalerweise führen die Eckzähne deines Hundes, seine Reißzähne, links und rechts aneinander vorbei. Sie sind so lang, dass sie ein Stück nach außen zeigen müssen, um nicht in den Gaumen zu drücken.
Bei einem normal entwickelten Gebiss ist das kein Problem.
Beim Rückbiss ist es anders. Da kann es passieren, dass die unteren Reißzähne in einem falschen Winkel gegen die oberen drücken.
Als Folge wachsen die Reißzähne im Oberkiefer deutlich weiter nach vorn als sie es eigentlich sollten. Die unteren drücken währenddessen immer weiter gegen die oberen.
Dadurch nutzen sie sich schnell ab oder beschädigen einander.
#2 Verletzungen durch Einbiss
Die Beschädigungen können zu Zahnverletzungen führen. Häufiger kommt es aber dazu, dass die unteren Reißzähne in den oberen Gaumen stechen. Einbiss heißt dieses Phänomen.
Das klingt genauso schmerzhaft, wie es ist. Die Reißzähne wachsen nicht nach außen, sondern stechen deinem Hund in sein eigenes Fleisch.
Am Anfang kommt es dadurch nur zu Hautabschürfungen. Je weiter die Reißzähne wachsen, desto größer werden die Wunden jedoch.
Am Ende entstehen so richtige Löcher im Gaumen, in die sich die Reißzähne in Ruhestellung bohren.
#3 Infektionen
Diese Löcher, verursacht von den Reißzähnen, bieten einen hervorragenden Nährboden für Infektionen. Es ist warm, feucht und die ständig hinein stechenden Zähne bringen Nahrungsreste mit.
Die dabei entstehenden Infektionen und Entzündungen können oberflächlich bleiben oder sich bis zum Knochen hin ausbreiten.
Bleiben sie länger bestehen, lösen die Infektionen den um sie liegenden Knochen langsam auf. Dass das nicht förderlich für die Gesundheit deines Hundes ist, muss ich dir sicher nicht erklären.
Behandlungsmöglichkeiten
Kein Hundebesitzer möchte wohl, dass sich sein Vierbeiner ständig selbst beißt. Was macht man also, wenn der Hund einen Rückbiss hat?
Obwohl diese Fehlbildung recht selten ist, gibt es da viele Möglichkeiten. Einige behandeln nur die Symptome, die durch den Rückbiss entstehen.
Andere bekämpfen den Rückbiss an sich. Zur Auswahl stehen
- Zahnextraktion,
- Zahnkürzung,
- Zahnspange,
- Dehnschraube,
- Aufbissebene und
- OP.
Dieses kurze Video zeigt einen Hund mit Rückbiss und seine Behandlung.
Extraktion einiger Zähne
Stechen die Reißzähne immer wieder in den Oberkiefer deines Vierbeiners, verschafft eine Extraktion Linderung.
Alle Zähne, die Ärger machen, werden dabei gezogen.
Das führt allerdings zu mehreren, größeren Wunden im Maul. Ob die Extraktion für deinen Hund tatsächlich der richtige Weg ist, muss dein Tierarzt entscheiden.
Zahnkürzung
Eine Alternative zum kompletten Ziehen ist die Zahnkürzung.
Dabei wird der Reißzahn soweit abgetragen, dass er nicht mehr in den Gaumen drücken kann. Der Zahn an sich bleibt erhalten und macht keine Probleme mehr.
Ganz risikofrei ist diese Methode nicht. Gekürzte Zähne sollten regelmäßig kontrolliert werden, da es noch Jahre später plötzlich zu Nervenentzündungen kommen kann.
Zahnspange
Sind durch den Rückbiss viele Zähne verschoben, braucht dein Hund eine Zahnspange. Ja, das gibt es auch für Hunde.
Sie wird in Narkose eingesetzt und bleibt, bis der Tierarzt mit dem Ergebnis zufrieden ist.
Während der Behandlung wirst du häufiger zu Kontrolluntersuchungen müssen.
Die Zahnspange muss regelmäßig nachgestellt werden.
Dehnschraube
Die Dehnschraube führt dazu, dass die nach innen zeigenden Reißzähne nach außen gedrückt werden. Sie wird im Unterkiefer deines Hundes zwischen die Zähne geklemmt.
Dort bleibt sie, bis die Reißzähne die gewünschte Neigung haben. Dafür wird die Dehnschraube immer wieder nachgestellt.
Aufbissebene
Eine Aufbissebene verhindert, dass dein Hund sicher weiterhin selbst beißt.
Sie kann gleichzeitig dafür benutzt werden, das Zahnwachstum zu lenken oder die Zähne langsam in eine gewünschte Richtung zu schieben.
Solche Aufbissebenen gibt es aus Kunststoff und Metall. Sie werden individuell angefertigt, wofür als Erstes eine Kieferabformung nötig ist.
Diese wird aus Alginat hergestellt. Das ist ein hypoallergener Stoff aus Algen, den man auch in der Humanmedizin benutzt. Damit der Abguss perfekt wird, muss dein Hund in Narkose liegen.
Alginat härtet aber schnell aus, sodass er nach wenigen Minuten wieder aufwachen darf.
Operation
Ein Rückbiss lässt sich chirurgisch behandeln. Die OP kommt aber kaum zum Einsatz.
Es handelt sich um einen ziemlich großen Eingriff, der bei deinem Hund Schäden hinterlässt (Quelle). Hier muss das Verhältnis von Nutzen und Risiko genau abgewogen werden.
Einen Rückbiss beim Hund verhindern – geht das?
Da es sich beim Rückbiss meist um eine genetisch bedingte Fehlbildung handelt, nein.
Für die Zukunft bleibt nur, bei der Zucht auf Hunde mit Rückbiss zu verzichten. Manchmal kann es helfen, einige Milchzähne frühzeitig zu ziehen.
Diese können das Kieferwachstum zurückhalten, sodass man mit dem Eingriff ein bisschen Platz gewinnen kann.
Damit verhindert man allerdings nicht, dass Nachkommen dieses Hundes ebenfalls einen Rückbiss haben können. Er eignet sich auch nach dem Eingriff nicht zur Zucht.
Für die Zahnextraktion muss der Welpe in Narkose liegen. Wie sinnvoll der Eingriff ist, muss daher der Tierarzt entscheiden.
Bleibt der Rückbiss danach voraussichtlich behandlungsbedürftig, kann man auch einfach den normalen Zahnwechsel abwarten. Anschließend wählt man eine andere Behandlungsmethode, die weniger risikoreich ist.
Rückbiss beim Hund – Das Fazit
Ein Rückbiss ist ein seltenes, aber nicht zu unterschätzendes Problem beim Hund. Unbehandelt führt er zu dauerhaften Schmerzen und Verletzungen im Maul.
Je nach Schweregrad stehen dir unterschiedliche Therapiemaßnahmen zur Auswahl.
Mein Favorit, wobei man da wirklich individuell entscheiden muss, ist die Dehnschraube oder die Aufbissebene.
Beides ist nur mit kurzen Eingriffen verbunden und löst die medizinischen Probleme, die der Rückbiss mit sich bringt.
Häufig gestellte Fragen
Kann ein Hund mit Rückbiss normal fressen?
Ein geringer bis moderater Rückbiss führt kaum zu Problemen beim Fressen. Ist er sehr stark ausgebildet, kann dein Hund Schwierigkeiten haben, Futter aufzunehmen.
Darf ich mit einem Hund mit Rückbiss züchten?
Hunde mit Rückbiss sind für die Zucht nicht geeignet, weil sie ihren Defekt weitervererben könnten. Du darfst mit so einem Hund züchten, sofern es nicht vertraglich anders geregelt ist, es ist aber in jedem Fall nicht empfehlenswert.
Muss ich einen Rückbiss bei meinem Hund behandeln lassen?
Ein sehr leichter Rückbiss führt eventuell nicht zu gesundheitlichen Problemen. Lasse deinen Hund von deinem Tierarzt untersuchen, um sicherzugehen.