Die Schatten im Almtal

Droben im malerischen Almtal, zwischen saftig-grünen Wiesen und dichten Wäldern, lebte ein wunderschöner, Deutsch-Drahthaar-Hund namens Henry. Henry war nicht nur bekannt für sein dichtes, drahtiges Fell und seine beeindruckende Statur, sondern auch für seine bemerkenswerte Intelligenz und seinen unerschütterlichen Mut.

Seit Jahren war Henry der treue Begleiter von Johann, einem erfahrenen Förster, der in den umliegenden Wäldern für den Schutz der Flora und Fauna verantwortlich war. Gemeinsam streiften sie oft durch das Tal, jagten Wild und führten ein harmonisches Leben im Einklang mit der Natur. Henry war stets an Johanns Seite – wachsam, zuverlässig und treu.

Eines kühlen Herbstmorgens standen die Bäume wie in einen goldenen Schleier gehüllt, Blätter raschelten in sanftem Flüstern unter den Pfoten des Hundes. Doch in dieser idyllischen Stille spürte Henry eine Unruhe, ein Gefühl, das tief in seiner Brust wühlte. Johann bemerkte es auch, wie ein Schatten auf der Seele des Hundes.

„Etwas stimmt nicht,“ sagte Johann, seine Stimme gedämpft durch die schwere Luft des Morgens.

Henry hob den Kopf, seine scharfen Augen scannten das Tal. Plötzlich zog ein lautes Knacken im Unterholz seine Aufmerksamkeit auf sich. Seine Nackenhaare stellten sich auf, und er stieß ein tiefes, bedrohliches Knurren aus. Johann folgte dem Blick seines Hundes und sah eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen huschen.

„Ohne zu zögern, schnell wie der Blitz,“ murmelte Johann und versuchte Henrys Bewegungen zu folgen.

Mit einem leisen Pfiff gab Johann Henry das Zeichen, die Spur der Gestalt aufzunehmen. Der Deutsch-Drahthaar stürzte voran, instinktiv geführt von seiner scharfen Nase und seinen geschulten Sinnen. Johann hetzte hinter ihm her, Zweige zerrissen an seiner Kleidung, doch das Adrenalin trieb ihn voran.

Immer tiefer drängten sie in das dichte Waldinnere, bis sie an einer Lichtung zum Stillstand kamen. Henry stand stocksteif, die Ohren gespitzt, die Augen weit aufgerissen. Vor ihnen lag ein altes, verwittertes Haus, das Johann nie zuvor bemerkt hatte.

Doch das war nicht das Merkwürdigste. Aus dem Inneren des Hauses drang ein rhythmisches, pulsierendes Geräusch, wie das Ticken einer gigantischen Uhr. Henrys Nase zuckte, und ein leises Winseln entwich seiner Kehle.

„Das Geräusch,“ sagte Johann atemlos. „Das war gestern noch nicht da.“

Henry machte einen Schritt nach vorne, als plötzlich die Geräusche abrupt aufhörten. Eine unheimliche Stille legte sich über die Lichtung und ließ das pulsschnelle Gefühl von Gefahr zurück. In diesem Moment öffnete sich die robuste Holztür des Hauses, und im schwachen Licht erkannten sie …

…eine kleine, zitternde Gestalt: ein Welpe, kaum älter als ein paar Wochen, der ängstlich zu ihnen hinaufschaute. Seine struppige Fellmasse hing in nassen Strähnen um seinen kleinen Körper, und seine Augen waren weit geöffnet vor Furcht. Henry schien den Welpen sofort zu erkennen; er ging vorsichtig auf ihn zu, winselte beruhigend und stieß sachte mit seiner Nase gegen den zitternden Körper.

„Was machst du hier, Kleiner?“ flüsterte Johann und schaute sich misstrauisch im Raum um.

Henry begann, den Raum zu erkunden, seine feine Nase tief am Boden. Johann folgte ihm ins Innere des Hauses und tastete in der Dunkelheit nach einem Lichtschalter. Eine alte, flackernde Glühbirne erhellte den Raum und enthüllte eine Ansammlung alter, verrottender Möbel und knisternder, papierartiger Gerätschaften. In der Ecke des Raumes entdeckte Henry einen Haufen bunter Fetzen, unter denen ein kleines, verschmiertes Buch lag. Er bellte zur Warnung, und Johann hob das Buch vorsichtig auf.

„Das ist ein Tagebuch,“ murmelte Johann beim Durchblättern der Seiten. Die krakelige Schrift war schwer zu entziffern, doch eine Passage fiel besonders auf. Sie beschrieb eine geheimnisvolle Uhr, die jenseits der Lichtung versteckt war. Der Eintrag endete abrupt mit den Worten „Die Zeitbewahrer kommen…“



Plötzlich verspürten Johann und Henry eine elektrische Spannung in der Luft, und das rhythmische Ticken begann erneut, lauter und intensiver als zuvor. Henrys Instinkte trugen ihn weiter durch das Haus, bis sie eine versteckte Falltür entdeckten. Johann zögerte nicht lange und öffnete sie vorsichtig.

Unter der Falltür führte eine steile Treppe hinab in die Dunkelheit. Johann zündete eine Taschenlampe an und folgte Henry in den Untergrund. Die Luft war kühl und feucht, ein muffiger Geruch lag in der Nase. Unten angekommen, fanden sie einen verborgenen Raum voll mechanischer Apparaturen und einer gigantischen Uhr, deren Zeiger sich unaufhörlich drehten.

Plötzlich hörten sie ein tiefes, bellendes Lachen aus dem Schatten. Eine hochgewachsene Gestalt trat ins Licht: ein alter Mann mit wirrem Haar und gierig glitzernden Augen.

„Willkommen, Fremde,“ sagte er mit einer sardonischen Stimme. „Ihr habt das Geheimnis der Zeitbewahrer entdeckt.“

„Wer sind Sie?“ fragte Johann, seine Stimme fest, doch in seinem Inneren konnte er das Unbehagen nicht unterdrücken.

„Mein Name ist Professor Krantz“, antwortete er. „Ich bin der Hüter dieser Uhr, der Schlüssel zur Zeit selbst. Ihr kluger Freund hat mich hergebracht.“

Henry knurrte leise, er spürte die Bedrohung, die von diesem Mann ausging. Professor Krantz lachte erneut und streckte die Hand aus, um das Buch entgegenzunehmen. Johann reichte es ihm widerstrebend.

Krantz schaltete die gigantische Uhr um; ein ohrenbetäubendes Rauschen und Klirren erfüllte den Raum. „Mit dieser Uhr kann ich die Zeit selbst steuern,“ erklärte er. „Doch dazu benötige ich gewisse Essenzen, die nur durch pure Herzensgüte und selbstlose Taten erschaffen werden können.“

Johann und Henry sahen sich in die Augen. Sie verstanden, dass sie handeln mussten. Johann rief: „Henry, hol das Buch!“

Henry sprang nach vorne, riss das Tagebuch aus den Händen des Professors und warf es Johann zu. In der nächsten Sekunde brachen die Apparaturen funkelnd und funkelnd zusammen, als Johann das Buch durch die Zahnräder der Uhr warf. Die gigantische Uhr stoppte mit einem letzten, dröhnenden Knall.

Professor Krantz schrie in Verzweiflung auf, als plötzlich die Zeit selbst sich in einem wirbelnden Strudel um ihn herum verschlang und er spurlos verschwand. Die gewaltige Uhr zerfiel in Staub und die Dunkelheit wich einem Lichtstrahl, der die Kammer erhellte.

Als die Stille zurückkehrte, blickte Johann zu Henry hinab, der sanft den kleinen Welpen leckte. „Wir haben es geschafft, Henry,“ sagte Johann. „Wir haben die Zeitbewahrer besiegt.“

Gemeinsam verließen sie das düstere Haus und kehrten zurück zur Lichtung. Der Welpe, inzwischen beruhigt, tappelte an Henrys Seite. Sie tauchten wieder in die goldenen Herbstfarben des Waldes ein, ein neuer Tag begann im Almtal, und mit ihm eine neue, hoffnungsvolle Zukunft voller Abenteuer und Freundschaft.

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